Michael Patrick Kelly RUAH
Nach dem erfolgreichen Comeback mit dem Pop/Rock Album Human (2015) öffnet der Singer-Songwriter nun endlich seine private Kloster-Schatzkammer
Musik hat ihren Ursprung im Glauben, und diese Herkunft gilt auch für die Pop-Musik. Denn deren Wurzeln stecken mehr als irgendwo sonst im alten Amerika, in dem Blues, Gospel, Folk & Country vor allem deshalb gesungen wurden, weil der Mensch mit seinem Leid, seiner Freude und seiner Liebe keinen besseren Adressaten als den Good Lord up above und zu ihm hin keine bessere Straße wusste als die Musik. Darum haben die ganz Großen ihre Songs immer auch nach oben geschickt: Von Frank Sinatra, Elvis, Johnny Cash über James Brown, Bob Dylan, Bob Marley bis zu Springsteen, Whitney Houston, U2, Prince, und selbst Beyoncé haut dann und wann einen Gospel raus.
In Deutschland vor vielen Jahrhunderten einmal das Nashville der Kirchenmusik hat sich dieser Bezug weitgehend verdünnisiert. Udo singt Lobe den Herrn , die Hosen Großer Gott ? Undenkbar. Seitdem in Deutschland Pop- und Rockmusik gespielt wird, umgeht man das Thema Gott wie eine Gletscherspalte.
Mit seinem Spiritual-Album RUAH schaut Michael Patrick Kelly nicht bloß über deren Rand, sondern schmeißt sich ungebremst hinein. Man hört, warum er das kann: Er hat in seinen sechs Jahren in der Stille eines französischen Klosters diesen Abgrund als Grund erfahren, und hat seine Songs von der Tiefe dieser Erfahrung modellieren lassen. Wer nun schwachbrüstigen Frömmelkitsch oder neue Plattitüden aus der Kirchentags-Sakropopschmiede erwartet, liegt gründlichst daneben: Diese Musik ist so punktgenau, so klug komponiert, so fein musiziert, so einnehmend durch Kellys Ausnahmestimme, dass sie schon rein musikalisch zu den ganz hochwertigen Pop-Sachen der letzten Jahre gehört. Aber zugleich fräst sie sich und den Hörer immer tiefer hinein in die Anwesenheit des großen Abwesenden.
Man muss nicht religiös sein, um sich von diesem Album ergreifen zu lassen. Die Musik wird nicht als Trägerrakete für eine Botschaft missbraucht, sondern sie ist selbst tongewordene Transzendenz und das so, dass die Welt nicht einfach verschwindet, sondern im Licht von Anderswoher neu zu funkeln anfängt.
Das alles geschieht mit einer ungeheuren Spannbreite: Der Opener Ruah (hebräisch für Geist / Lebensatem) wechselt zwischen hymnischem Falsett und rockendem Stotter-Staccato: C-C-C-C-come-come . Don t Judas me berührt als todtraurige Ballade zum Thema Verrat. Holy liefert eine amtliche, folkgesättigte Neuausgabe des 2000 Jahre alten Hymnus, die wahrscheinlich Madonna (die Jüdin, nicht die Amerikanerin) selbst absegnen würde. Bei Seinn Alliliu kehrt Kelly zu seinen irischen Wurzeln zurück und singt zum ersten Mal auf Gälisch, umrahmt von Italo-Western-Gitarren. Radiohead meets Psalm in Agape . Die 10 Spiritual Songs sind getränkt von der Musikalität eines Menschen, der Musiker war, noch bevor er laufen konnte.
Am Ende der Platte ist der Hörer froh, dass Michael Patrick Kelly im Kloster war, und mindestens so froh, dass er da nicht geblieben ist, sondern uns teilhaben lässt an einer Beziehung, die das ewige Boy meets girl um eine ganze Dimension übersteigt.
Bedenkt man, wo die Musik herkommt, dann kommt sie mit dem Album RUAH heim.